Dienstag, 13. März 2012

Laufen lernen. Teil 1.

Es gibt wenig allgemeine Wahrheiten im Tango, alles, was man so machen kann, kann man auch anders machen, jeder hat einen eigenen Stil und wenn man ein Konzept hat, so hat man es sich meistens selbst zusammengebaut. Aber in einem sind wir uns alle so gut wie einig: Tango ist Laufen. Mit der Frau und mit der Musik. Und so, dass man die anderen Paare auf der Tanzfläche nicht behindert oder gefährdet...

Aber, WIE läuft man? DA gehen die Wahrheiten auseinander. Hier ein Vorschlag, von dem kaum einer sagen würde, dass er falsch sei. (Und wenn doch – bitte, kommentiert. Kritik und andere Meinungen sind AUSDRÜCKLICH erwünscht.) Achtung: anstrengende Lektüre. Der nächste Absatz kann auch übersprungen werden.

1.    1. ganzes Gewicht auf ein Bein (Standbein), so, dass das freie Bein frei wird. Knie sind nicht durchgestreckt, sondern locker
2.    2. Projektion: freies Bein schwingt nach vorne (räumlich sehr kleine Bewegung), Solarplexus macht eine kleine Rotation nach oben und seitlich, so, dass der Oberkörper in eine leichte Kontraposition zu den Hüften gerät.
3.    3. Verlängerung: Durch Verschieben des Körpergewichts nach vorne und Strecken des Standbeines (Abstossen mit Hilfe von Knie und Fuss) wird der eigentliche Schritt gemacht, das Vorankommen im Raum.
4.    4. Ankommen: Aufrichtung der neuen Achse – Hüften, Schultern und Kopf kommen genau über dem Ballen des neuen Standfusses zu stehen. Das andere Bein fällt entspannt unter die Hüften, die Füsse sind wieder beieinander.

Nicht falsch ist eine Sache. Die andere ist: ich würde, wenn ich die Möglichkeit hätte, mich so gern bei den Generationen von Schülern entschuldigen, denen ich es so beigebracht hatte. Nicht falsch ist nicht gut genug. Was war das Problem? Ich stand während meiner Tanzausbildung stundenlang vor dem Spiegel. Studierte die Bewegung. Wurde von meinem Lehrer gequält, so lange, bis es ok war. Dass ich es erst im Alter von siebzehn tat und nicht schon viel früher, war gefährlich spät. Aber ich hielt durch. Als ich – Jahre später – anfing, Tango zu tanzen, war ich schon Tänzerin. Ich konnte mich bewegen. Nach einem halben Jahr gab ich Unterricht, zusammen mit meinem ersten Tangolehrer. Ohne irgendeine Ahnung vom Unterrichten zu haben. Asche auf mein Haupt!

Später ging ich nach Bs As, in alle Kurse, die ich zeitlich irgendwie besuchen konnte, versuchte zu verstehen, was einen guten Lehrer ausmacht. Denn man erkennt den Lehrer an seinen Schülern. Es gibt schlechte Tänzer, die hervorragend unterrichten. Gute Täzer, die katastrophale Lehrer sind. (Und natürlich auch die anderen zwei Fälle, wobei der eine dem Paradies entspricht, der andere – deutlich häufigere – der Hölle. Ich denke, ihr versteht... )

Aber das eigentliche AHA kam viel später. Ein alter Tänzer, den ich nach Zürich eingeladen hatte, bat mich, an einem schönen Nachmittag, das Fenster zu öffnen. Auf die Strasse zu schauen:

“Siehst du!” sagte er – ”sie können laufen. Alle Mensche können laufen. Die einen vielleicht ein bisschen schöner als die anderen, aber die Unterschiede fallen kaum auf. Sobald sie auf der Tanzfläche stehen, können sie das nicht mehr. Denn sie versuchen zu tanzen.”

Wenn ein Tänzer in seiner Ausbildung über Projektion und Verlängerung nachdenkt, analysiert er die natürliche Bewegung und versucht sie zu optimieren. Das tut er jeden Tag, stundenlang.

Wenn ein Tanzschüler, der mit vierzig Jahren noch nie getanzt hatte, der einmal pro Woche in den Unterricht kommt, seine Schritte in irgend welche Elemente unterteilen muss, wenn er gewisse Punkte an seinem Körper irgendwie verschieben muss, so ahmt er die natürliche Bewegung bestenfalls nach. Es wird nicht klappen. Er wird sich wie ein motorisch Behinderter durch den Raum schleppen. Aber: DIE NATÜRLICHE BEWEGUNG, DAS LAUFEN, BEHERRSCHT ER SCHON EIN GANZES LEBEN LANG! DENN ER HAT LAUFEN GELERNT, ALS ER EIN JAHR ALT WAR. Er läuft vielleicht weniger schön als sein Tanzlehrer. Aber das ist egal. Er kann laufen. Nachahmen ist wertlos. Niemand wird sich schöner bewegen im Versuch, sich wie ein anderer zu bewegen.

Wenn man es schafft, die Schönheit der natürlichen Bewegung ins Tanzen rüber zu retten hat man, meiner Meinung nach, sehr viel gewonnen. Fast alle Gelegenheitstänzer laufen schöner, als sie tanzen. Entspannt, in Achse, ohne Kraft auf das freie Bein anzuwenden, ohne die Beine so auseinanderzuführen, als hätte man in die Hose gemacht. Ohne in den Boden zu kleben, so, als liefe man im Sumpf. Ohne Rücklage und ohne das Hintern nach aussen zu strecken. Ohne die Schultern hochzuziehen und den Kopf nach vorne zu drücken.

Die gute Nachricht – es klappt. Mann kann das natürliche Laufen retten. Wir können alle laufen, darum können wir alle tanzen – schön tanzen – wenn der Fokus von Anfang an richtig ist und das Coaching geeignet. Ich werde in den kommenden Posts meine Erfahrungen schildern.

1 Kommentar:

  1. Schön, dass hier wieder Neues steht.

    Laufen.... ja, wäre schön, wenn mehr LehrerInnen aus ihren Schülerinnen Tangueros und nicht Tänzer machen würden.

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