Mittwoch, 7. März 2012

Apologie des Mr. Gancho


Der ältere Herr aus meinem letzten Beitrag bekam mit der Zeit einen sich selbst erklärenden Übernamen: Mr. Gancho. Er wurde zu einem netten, gern gesehenen Gast in jener Milonga, wurde immer herzlich begrüsst, doch hörte die Herzlichkeit meistens auf, sobald er eine jener Frauen einlud, mit denen er am liebsten getanzt hätte. Anfangs bekam er ausweichende Antworten wie “nicht jetzt, ich bin zu müde“ oder “meine Füsse tun weh“, später musste er sich oft mit einem schlichten “nein“ abfinden. Ich glaube, er hat nie verstanden, wieso.

Es ist auch nicht leicht, zu verstehen. Seine Tanzpartnerin hat wilde Figuren geliebt und hat ihn wohl angestachelt, noch mehr Ganchos und Sacadas zu lernen. Er hielt sich, das konnte man den Gesprächen mit ihm entnehmen, für einen erfahrenen Tänzer. Und das sicher zu recht. Nur – die Erfahrung, die ihm viel Lob von manchen Frauen gebracht hat, brachte andere Frauen dazu, sich hinter der Bar zu verstecken,  sobald er sich näherte. Das ist irgendwie grausam. Und: wie hätte er verstehen sollen, wieso? Keine hat es ihm je gesagt.

Am Schluss des letzten Blog-Eintrags habe ich die Bewegungsqualität eines Schülers gelobt, der zwar nur laufen konnte, aber schön. Ich frage mich jetzt – was, wenn manche Tänzer und Tänzerinnen gar nicht daran interessiert sind, lange, weiche, schwebende Schritte zu machen, sondern bloss ein wenig Spass haben wollen? Was, wenn “ein wenig Spass“ für sie bedeutet, dass man viele Figuren im Unterricht lernt und sie dann irgendwie ausführt? So eine Art mnemotechnisches Spielchen? Was ist so schlimm daran, wenn man andere nicht stört, und man muss hier festhalten, dass Mr. Gancho ein durchaus rücksichtsvoller Tänzer war, der nie gegen die Tanzrichtung ging und keinem je den Weg abgeschnitten hat.

Wenn man ans Fest einer Tanzschule hingeht, wo etwas anderes als Tango getanzt wird, wird einem klar, dass die meisten Paare stolz und selbstverständlich “Schrittchen“ machen. Das Fliegen übers Parkett ist nur für die Profis, und davon gibt es wenige. Die meisten zählen bemüht den Takt, legen im hoffentlich richtigen Moment los, machen die Figur, die sie gelernt hatten, und haben Spass. Das reicht. Vielleicht ist es so, dass es manchen Leuten, die Tango tanzen, genau so reicht. Sie sollten dafür nicht bestraft werden.

Nun... Mr. Gancho fühlte sich zwar ungerecht behandelt, das war aber nicht so. Die Mädchen, die sich vor ihm versteckten, taten es, weil es für sie unangenehm war, mit ihm zu tanzen. So wie er sich entscheiden kann, unvollkommene Sacadas als Gedächtnisspielchen aneinanderzureihen, so kann sich ein anderer dafür entscheiden, die Freude in der schönen Bewegung zu suchen. In der perfekten Verbindung mit dem Partner und der Musik. Dieses süchtig machende Gefühl, jeden Schritt zusammen anzufangen, zusammen zu gleiten und zusammen anzukommen. Wenn es das ist, was einem Freude macht, dann ist das andere qualvoll. So ist das. Und das müsste Mr. Gancho irgendwie verstehen. 

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